Handelsvertreter außerhalb des EWR – keine Entschädigung für den Geschäftswert

Den Artikel in anderen Sprachen lesen Français, English
Lesezeit: 4 min

Der Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH„) hat ein neues Urteil zum internationalen Anwendungsbereich der Handelsvertreterrichtlinie (86/653/EWG vom 18. Dezember 1986) gefällt. Die neue Entscheidung steht im Einklang mit den Urteilen

  1. des EuGHs in den Rechtssachen Ingmar (Entscheidung vom 9. November 2000, C-381/98, obligatorischer Ausgleich des Firmenwerts, wenn der Handelsvertreter innerhalb der EU handelt) und Unamar (Entscheidung vom 17. Oktober 2013, C-184/12, zur Frage, ob das nationale Handelsvertreterrecht zwingend ist, wenn der Mindestschutz der Handelsvertreterrichtlinie überschritten wird) und
  2. des Bundesgerichtshofs vom 5. September 2012 (deutsches Handelsvertreterrecht als zwingendes Recht gegenüber Lieferanten in Drittstaaten mit Gerichtsstandsklausel).

Die Frage

Der EuGH hatte nun zu entscheiden, ob ein Handelsvertreter, der in der Türkei für einen in Belgien ansässigen Lieferanten tätig ist, auf der Grundlage der Handelsvertreterrichtlinie einen Anspruch auf Ausgleich des Firmenwerts geltend machen kann. Konkret ging es um die Frage, ob der territoriale Anwendungsbereich der Handelsvertreterrichtlinie gegeben ist, wenn der Handelsvertreter in einem Drittland und der Lieferant innerhalb der EU tätig ist –  der gegensätzliche Fall zur Ingmar-Entscheidung.

Der Sachverhalt

Nach dem Handelsvertretervertrag galt belgisches Recht, und die Gerichte in Gent (Belgien) sollten zuständig sein. Das belgische Recht, das die Richtlinie über Handelsvertreter umsetzt, sieht bei Beendigung des Vertrags einen Anspruch auf eine Entschädigung für den Geschäftswert (und darüber hinaus einen Anspruch auf Schadensersatz) vor. Das vorlegende Gericht vertrat jedoch die Auffassung, dass das belgische Handelsvertretergesetz von 1995 eine Selbstbeschränkung darstellt und gemäß seinem Art. 27 nur dann anwendbar ist, wenn der Handelsvertreter in Belgien tätig war. Andernfalls würde das allgemeine belgische Recht gelten.

Die Entscheidung

Der EuGH entschied, dass die Parteien von der Handelsvertreterrichtlinie abweichen können, wenn der Vertreter in einem Drittland (d. h. außerhalb der EU) tätig ist. Dies war hier der Fall, da der Vertreter in der Türkei tätig war.

Die Entscheidung ist besonders bemerkenswert, weil sie – eher nebenbei – die Ingmar-Entscheidung des EuGH zur Rom I-Verordnung fortschreibt (I.). Darüber hinaus bestätigt sie indirekt §. 92c HGB (II.) – der es den Parteien eines Handelsvertretervertrags nach deutschem Recht ermöglicht, vom allgemein zwingenden Handelsvertreterrecht abzuweichen, wenn der Handelsvertreter außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums („EWR„) tätig ist. Schließlich schafft er Rechtssicherheit für den Vertrieb außerhalb des EWR und zeigt auf, was sich nach einem Brexit für im Vereinigten Königreich tätige Handelsvertreter ändern kann (III.) – wenn die EU und das Vereinigte Königreich keine Übergangsregelungen treffen.

Zu den Einzelheiten siehe den Beitrag von Benedikt Rohrßen, Zeitschrift für Vertriebsrecht 2017, 186 ff. („Ingmar reloaded – Handelsvertreter-Ausgleich bei umgekehrter Ingmar-Konstellation nicht international zwingend„).

Benedikt Rohrssen
  • Agentur
  • Vertrieb
  • e-Commerce
  • Franchising
  • Investitionen

Schreiben Sie an Benedikt Rohrssen





    Legalmondos Datenschutzbestimmungen lesen.
    This site is protected by reCAPTCHA and the Google Privacy Policy and Terms of Service apply.